Ich habe sehr lange überlegt, ob ich mit diesem Thema überhaupt an die Öffentlichkeit gehen soll. Es könnte ja sein, es redet keiner mehr mit mir, ich bekomme keinen Besuch mehr oder ich werde von anderen Menschen verachtet und einfach in eine Schublade gesteckt, wie es in der heutigen Zeit so üblich ist. Doch wer sollte mich eigentlich verachten? Etwa die Menschen, die selbst nicht besser sind?
Ich schäme mich meiner Vergangenheit nicht, denn ich habe nur daraus gelernt und mein Leben besser in den Griff bekommen.
Ich bin trockener Alkoholiker und habe mit dem Trinken vor 21 Jahren aufgehört. Ich gebe zu, der Anfang war sehr schwer und ich erinnere mich nicht sehr gern zurück, doch die Vergangenheit wird man nicht los.
Da diese Krankheit durch alle Gesellschaftsschichten geht , aber leider sehr heimtückisch ist, daß sie die betroffenen Familien kaputt macht, habe ich mich doch durchgerungen darüber etwas zu berichten. Es soll wenigstens diejenigen helfen, die gewillt sind, genauso wie ich es damals war, dieses Leben zu verändern. Inzwischen ist meine Ehe nach 28 Jahren, im Jahr 2000, geschieden worden. Zu meiner Tochter, die 1974 geboren wurde, habe ich leider auch keinen Kontakt mehr, was sehr schade ist.
Den Kontakt zu meiner Schwester bzw. meinem Bruder gibt es auch nicht mehr, da diese selber noch trinken. Meine Eltern sind schon lange unter der Erde, so daß meine Verwandtschaft ziemlich wenig geworden ist. Zum Abschied der Trennung vor der Scheidung stellte man mir noch den Alkohol in den Kühlschrank, damit ich schwach werde und wieder anfange wo ich vor 21 Jahren aufhörte. Es braucht mir keiner zu glauben, mit zittrigen Händen und geschlossenen Augen entsorgte ich den Inhalt des Kühlschrankes und war froh, als alles weg war.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Menschen so gemein sein können, nur weil eine Ehe nicht so recht klappt. Dies alles waren für mich keine Gründe mit dem Trinken wieder anzufangen. Es war für mich eine sehr harte Zeit. Drei Jahre Trennung und drei Jahre Ungewissheit. Da ich in dieser Zeit auch noch einen Herzinfarkt bekam und drei mal operiert werden musste, wurde auch noch die Scheidung verschoben. Aus Gemeinheit weil ich noch ein paar Jahre machen möchte gewöhnte ich mir vor zwei Jahren auch noch das Rauchen ab, was mir bestimmt bisher nicht schadete.
Wer mit erlebt hat wie es Harald Juhnke ging, der es sehr viel schwerer hatte, weil er ständig im Rampenlicht stand oder Dieter Krebs, der jämmerlich zu Grunde ging, der kann für sich nur sagen, man kann sich eigentlich nur verbessern.
Ich bin deshalb nie überredet worden in irgend einer kirchlichen Gemeinde einzutreten oder ähnliches.
Ich hoffe, daß meine kleine Lebensgeschichte hier für andere, die es noch vor sich haben eine kleine Hilfe oder gar Krücke ist, mit der sie wieder laufen lernen, Achtung finden und wieder aufrecht blicken können. Und wenn sich da jemand hinstellt und behauptet, der hat aber einen starken Willen, das ist völliger Quatsch! Man sagt nicht umsonst der Glaube kann Berge versetzen.
Allein meinem Glauben habe ich es zu verdanken, daß ich es geschafft habe und ich danke all denen, die mir dabei geholfen haben.
Ein Jahr lang bin ich jeden Dienstag zu den "Anonymen Alkoholikern" gegangen um zu lernen wie man mit dieser Krankheit umgeht. Diesbezüglich sind mir Entziehungskuren oder Krankenhausaufenthalte erspart geblieben. Heute kann ich mein Leben ohne diese Selbsthilfegruppe meistern.
Jürgen